In jedem neuen Wirt vermehrt sich das SARS-CoV2. Dabei werden Millionenfach Kopien des viralen Erbmaterials hergestellt und wie immer bei diesem Vorgang entstehen Kopierfehler. Diese können zu neuen Virusvarianten führen, die potentiell harmloser, gefährlicher oder bezüglich Ansteckung und Krankheitsverlauf unverändert sind. Das ist ein Zufallsprozess, der statistisch beschrieben werden kann. Je mehr Menschen sich anstecken, desto mehr Kopien werden gemacht und desto wahrscheinlicher ist das Entstehen neuer Mutationen. Eine niedrige Infektionsrate wäre also auch hier hilfreich und zwar weltweit. Fehlt der Wille oder die Möglichkeit die Virusausbreitung in einem Land/Gebiet der Welt einzudämmen, gefährdet dies potentiell den gesamten Rest der Menschheit. Die Evolution des SARS-CoV2 ist ein kontinuierlicher Vorgang, der tagtäglich überall weitergeht.
Aktuell sind drei Virusmutanten von Interesse, die nach der Region ihres ersten Nachweises als britische, südafrikanische und brasilianische Mutante benannt wurden.
Britische Variante B.1.1.7
Diese Variante macht inzwischen über 70% der Neuinfektionen in Deutschland aus. Da sie 35-50% ansteckender ist, verdrängt sie rasch andere Virusvarianten. Neuste Studien zeigen auch, dass die Sterblichkeit bei dieser Variante um 64% höher ist. Die Wirksamkeit der Pfizer/Biontech und AstraZeneca Impfstoffe ist nach aktuellen Untersuchungen zwar leicht reduziert aber immer noch ausreichend gut. Auch interessant aber noch sehr vorläufig sind zwei Studien wonach B.1.1.7 Infektionen bei Hunden und Katzen häufiger sein könnten und in Einzelfällen mit einer Herzmuskelentzündung auch schwer verlaufen können.
Südafrikanische Variante B.1.351
Diese Mutation wurde im Dezember 2020 in Südafrika entdeckt und zum ersten Mal im Januar 2021 in Deutschland nachgewiesen. Noch fehlen umfangreiche klinische Daten, allerdings zeigen erste Studien auch für diese Variante eine erhöhte Ansteckungsrate und einen schwereren Krankheitsverlauf. Beunruhigend sind erste Studien, wonach die Wirkung von Pfizer/Biontech Impfungen um 60% reduziert sein könnte und der AstraZeneca Impfstoff gar nur in 10% der Fälle vor einem milden oder moderaten Verlauf.
Brasilianische Variante P.1
Diese Variante wurde in Manaus im brasillianischen Amazonasgebiet erstmals nachgewiesen. Eine Studie findet eine 50-60% erhöhte Infektiösität und auch eine erhöhte Sterblichkeit. Da die COVID-19 Infektionslage in Brasilien schon längere Zeit völlig außer Kontrolle ist, fehlen jedoch hierzu noch weitere, aussagekräftige Untersuchungen. Was die Wissenschaft jedoch alarmiert hat, war der Verlauf der Pandemie in und um Manaus. Aufgrund unterschiedlicher Faktoren war die Durchseuchung mit SARS-CoV2 in dieser Region bereits im vergangen Jahr sehr hoch; sehr wahrscheinlich weit über 70% der Bevölkerung hatten COVID-19 durchgemacht. Bei diesem Wert hätte man eine Herdenimmunität erwartet, die die weitere Verbreitung des Virus stoppt (siehe vorheriger Text). Stattdessen kam es erneut zu einem exponentiellen Anstieg der Neuinfektionen, was nur dadurch zu erklären war, das eine Erstinfektion nicht vor einer Ansteckung und auch nicht vor einem schweren Krankheitsverlauf mit P.1 schützt. Studien bestätigten eben dies. Wie zu befürchten, zeigen bisherige Studien auch, dass die aktuellen Impfstoffe etwas schlechter vor P.1 schützen als vor den bisherigen Varianten. P.1 wurde Ende Januar erstmals in Deutschland nachgewiesen und macht momentan etwa 1% der Neuinfektionen aus.
Was bedeutet das praktisch: es können jederzeit neue, gefährlichere Virusvarianten entstehen, die neue Lockdown-Maßnahmen und eine stetige Weiterentwicklung der Impfstoffe nötig machen. Ein erster Schritt ist die frühzeitige Erfassung dieser Varianten durch „flächendeckende“ Analysen des Viruserbmaterials. Und die Entstehung und Ausbreitung der neuen Varianten zeigt: Pandemiebekämpfung ist eine globale Aufgabe, solange sie nicht überall eingedämmt ist, hat kein Land der Welt ruhe.
© PD Dr. med. Oliver Kretz
Stand März 2021
Link zu Originalarbeiten:
https://www.nature.com/articles/s41591-021-01318-5
https://www.nature.com/articles/s41586-021-03324-6
https://www.bmj.com/content/372/bmj.n579.short
https://science.sciencemag.org/content/early/2021/03/03/science.abg3055
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.02.26.21252554v1
https://www.biorxiv.org/content/10.1101/2021.03.01.433466v1.full.pdf